Die Rede des Bundespräsidenten Frank-Walter Steinmeier zum 150. Geburtstag Heinrich Manns finden Sie hier
„Einer der größten Schriftsteller deutscher Sprache“ schrieb der jüngere der beiden Lübecker Brüder in seinem Nachruf auf den älteren – und auf diesen Satz laufen alle Würdigungen Heinrich Manns durch den Bruder hinaus, wie die folgende Auswahl einiger Auszüge zeigen kann. Und wer wäre denn berufener diese Würdigungen auch an dieser Stelle anzuführen als
THOMAS MANN:
Von allen deutschen Dichtern ist Heinrich Mann der sozialste, der Mann eines gesellschaftlich-politischen Impulses, wie er in westeuropäischer und zumal lateinischer Sphäre nichts Ungewöhnliches, bei uns aber etwas Unerhörtes ist, – wenn auch dank schwerer Schicksalszüchtigungen, die über uns gekommen, etwas sehr Zeitgemäßes. Es sind metaphysische, moralische, pädagogische, kurz innermenschliche Motive und Interessen, die uns anderen am Herzen liegen: der Erziehungs-, der Entwicklungs- und Bekenntnisroman war immer die spezifisch deutsche Spielart dieser literarischen Kunstgattung. Bei diesem Autor fast allein, und verbunden mit soviel künstlerischem Glanz nur bei ihm, trug das moralische Element von Anbeginn nicht das Gepräge 'innerweltlicher Askese', um mich eines religionsphilosophischen Terminus zu bedienen, sondern dasjenige der politisch-sozialkritischen Ausdehnung. Er ist es, der, als wir noch im Glanze lebten, an der ideellen Stagnation unseres Staatslebens am tiefsten gelitten und unsere Führer in literarischen Manifesten, deren fulminante Ungerechtigkeit dennoch einem höheren Rechte entsprang, vor das Forum des Geistes gezogen hat. Er hat den Zusammenbruch des kaiserlichen Deutschland am Ende seines wütend karikaturistischen Romanes vom deutschen 'Untertan' symbolisch prophezeit. Und er erzählt nun, in freier künstlerischer Gestaltung, die Geschichte dieses Unterganges, erzählt sie in einer Prosadichtung [Der Kopf], die nicht mehr und nicht weniger vorstellt als ein deutsches Gegenstück zu La débâcle.
Es ist das Buch eines Vierundfünfzigjährigen, Gereiften, Gemilderten, das, weit entfernt von der rasenden Satire seiner Vorgänger, gerechter nach allen Seiten und menschlich durchwärmt ist, – wie denn die besondere dichterische Gabe dieses Schriftstellers darin besteht, das Poetisch-Menschliche aus dem Gesellschaftlichen so erwachsen zu lassen, daß jenes von diesem erhoben und bedeutend gemacht, dieses aber von jenem beseelt und poetisiert wird. Es ist großartig, wie hier das individuelle Schicksal in die Tragödie der Zeit hineinwächst, und wie, zugleich mit der Entfaltung des Romans aus provinzieller Intimität ins Europäische seine künstlerische Instrumentierung, sein Pathos sich steigert.
Briefe aus Deutschland (1925), zit. nach: Thomas Mann / Heinrich Mann: Briefwechsel 1900-1949. Hg. von Hans Wysling. 3., erweiterte Ausgabe. Frankfurt am Main: Fischer Taschenbuch Verlag 2005 (= Fischer Taschenbuch, Bd. 12297, 2. Aufl., Dezember 2005), S 368f.
Wahrhaftig, was deutsch ist, was alles deutsch sein kann und welchen Platz dein Werk einnehmen wird in deutscher Formengeschichte, darüber werden endgültig nicht die zu befinden haben, die heute den keineswegs einfältigen Begriff des Deutschen zu verwalten sich anmaßen.
Man kann sagen, daß in der europäisch-deutsch-lateinischen Synthese, die du verkörperst, das Seelische deutsch und nur das Geistige französisch ist. Der Radikalismus deiner Ausdruckskunst war es, der das zur Gotik schwörende deutsche Expressionistengeschlecht um die Zeitenwende des Krieges bestimmte, in dir ihren Vater und Führer zu sehen. Assimiliertes Franzosentum dagegen ist die paradoxe und dabei klassisch voltairische Mischung aus Pessimismus und Hochherzigkeit, Menschenverachtung und revolutionärem Elan; ist der literarische Stolz und Ehrbegriff, die ästhetische Verachtung des Niedrigen, die Kritik der Wirklichkeit durch den mit Schönheit verbundenen Geist. Aber wer will es noch französisch nennen, nachdem es deutsch geworden ist? Immer sind bedeutende Geister Veränderer des Bildes gewesen, das die Welt sich von einem nationale Charakter machte. Wenn auch in Deutschland heute die organisch-untrennbare Verbindung von Kunst und Kritik sich gegen ein nichts als innerliches und formschwaches Seelendichtertum durchgesetzt und es zur Provinz, zum zweiten Range, zur halben Gültigkeit verurteilt hat; wenn auch bei uns nun der Typus des grand écrivain, des europäischen Moralisten, zu Hause und kein Fremder mehr ist, du warst gewiß weder allein noch zuerst der Urheber dieses Entwicklungsschicksales, aber dein Werk gehört zu denen, die es am mächtigsten gefördert haben.
Vom Beruf des deutschen Schriftstellers in unserer Zeit. Ansprache an den Bruder [anlässlich der Feier von Heinrich Manns 60. Geburtstag in der Preußischen Akademie der Künste zu Berlin], zit. nach ebd., S. 385.
Der Fünfundsechzigjährige ist wahrhaft zu beglückwünschen. In diesem doch schon späten Jahr seines Lebens hat er außer einer Menge kleinerer Beiträge zum Ideenkampf der Zeit, deren jeden wir mit einer ob seiner moralischen Klarheit und Gewißheit fast heiteren Ergriffenheit lasen, den großen Roman von der Jugend des König Henri siegreich vollendet: ein Werk erster Ordnung, in dem Güte und Kühnheit sich auf eine Weise mischen, die, aus dem Intellektuellen ins Wirkliche übertragen, einen Erdteil erretten könnte; ein Geschichts- und Menschheitsgedicht, dessen trauernde Ironie und grimmige Kenntnis des Höllisch-Bösen seinem Glauben an die Vernunft und das Gute keinen Abbruch tut; eine Synthese aller Gaben dieses großen Künstlers, worin sich der schon politisch gespannte Ästhetizismus seiner Jugend mit der durchaus eigenartigen kämpferischen Milde seines Alters bewundernswert zusammenschließt. Dies Leben ist eine klare Einheit; da es außerdem großes Format hat, so gewährt es den immer noch unvergleichlichen Genuß des Anblicks einer Persönlichkeit. Und wenn es wahr ist, was Goethe sagt, das "der der Glücklichste ist, welcher das Ende seines Lebens mit dem Anfang in Verbindung setzen kann", dann ist Dein Gestalter-Leben, lieber Bruder, bei aller Bitterkeit, die nach unverbrüchlichen Gesetzen darin einschlägig ist, das glücklichste zu nennen.
Dem Fünfundsechzigjährigen (1936) [Auszug], zit. nach ebd., S. 392.
Du, lieber Heinrich, hast diese neue Situation des Geistes früher geschaut und erfaßt, als wohl wir alle; du hast das Wort "Demokratie" gesprochen, als wir alle noch wenig damit anzufangen wußten, und die Totalität des Menschlichen, die das Politische einschließt, in Werken verkündet, die vornehmste Kunst und Prophetie sind in einem. Empfinden wir nicht Bücher wie den Untertan, den Professor Unrat, die Kleine Stadtheute als vollendete Prophetie? Wenn Genie Vorwegnahme ist, Vorgesicht, die leidenschaftliche Gestaltung kommender Dinge, dann trägt dein Werk den Stempel des Genialen, und über seine Schönheitswagnisse hinaus ist es ein moralisches Phänomen. Ich sprach von einer Vereinfachung und Verjüngung des Geistes, – deine Kampfschriften gegen das schlechthin Infame, das jetzt seinen blutigen Schaum schlägt, diese Kampfschriften in ihrer Mischung aus literarischem Glanz und einer – ich möchte fast sagen: märchenhaften Simplizität, einer menschheitlichen Volkstümlichkeit, sind das großartigste Beispiel dafür. Die Schul-Lesebücher der Zukunft, glaube ich, werden sie einer Jugend bieten, die das Leiden, den sublimen Haß nicht mehr nachempfinden kann, aus dem sie kamen, und der doch das Herz dabei höher schlagen wird. […]
Vor einem Menschenalter, lieber Bruder, gabst du uns den Mythos vom Professor Unrat. Hitler ist kein Professor – weit davon. Aber Unrat ist er, nichts als Unrat, und wird bald ein Kehricht der Geschichte sein. Wenn du, wie ich vertraue, die organische Geduld hast, auszuharren, so werden deine alten Augen sehen, was du in kühner Jugend beschriebst: das Ende eines Tyrannen.
Ansprache zu Heinrich Manns Siebzigstem Geburtstag (gehalten am 2. Mai 1941) [Auszug], zit. nach ebd., S.399f.
Wäre in Deutschland beizeiten die rettende Revolution ausgebrochen, ihn hätte man zum Präsidenten der Zweiten Republik berufen müssen, ihn und keinen anderen. Und selbst jetzt – wie lächerlich, daß um mich dieser törichte Lärm entstanden ist, ob ich zurückkehre, ob nicht, – während nach ihm niemand zu fragen schien. In wem von uns beiden war denn unser lateinisch-politisches Bluterbe aktiv von je? Wer war der gesellschaftskritische Seher und Bildner? Wer hat den Untertan geschrieben und wer in Deutschland die Demokratie verkündet, zu einer Zeit, als andere sich in der melancholischen Verteidigung protestantisch-romantisch-antipolitischer deutscher Geistesbürgerlichkeit gefielen?
Bericht über meinen Bruder (1946) [Auszug], zit. nach ebd., S. 414f.
Auch wußte er wohl, daß sein Werk – ein gewaltiges Werk! – getan war, wenn auch sein letztes ganz großes Unternehmen, die in eigentümlichem Emailleglanz historischen Kolorits leuchtenden episch-dramatischen Szenen, welche (überraschende Stoffwahl!) dialogisch das Leben des preußischen Friedrich erzählen, unvollendet liegenblieb. Was liegt daran, daß diese Fragmente Fragment blieben! Sein Kunsterleben ist vollendet ausgeklungen in den beiden letzten Romanen, dem Empfang bei der Welt, einer geisterhaften Gesellschaftssatire, deren Schauplatz überall und nirgends ist, und dem Atem, dieser letzten Konsequenz seiner Kunst, Produkt eines Greisen-Avantgardismus, der noch die äußerste Spitze hält, indem er verbleicht und scheidet.
Auf ebendieselbe Weise hat der große Essayist sich vollendet in dem großem Memoirenbuch Ein Zeitalter wird besichtigt, einer Autobiographie als Kritik des erlebten Zeitalters von unbeschreiblich strengem und heiterem Glanz, naiver Weisheit und moralischer Würde, geschrieben in einer Prosa, deren intellektuell federnde Simplizität sie mir als Sprache der Zukunft erscheinen läßt. Ja, ich bin überzeugt, daß die deutschen Schullesebücher des einundzwanzigsten Jahrhundert Proben aus diesem Buch als Muster führen werden. Denn die Tatsache, daß dieser nun Heimgegangene einer der größten Schriftsteller deutscher Sprache war, wird über kurz oder lang auch von dem widerstrebenden Bewußtsein der Deutschen Besitz ergreifen.
Brief über das Hinscheiden meines Bruders Heinrich (1950) [Auszug], zit. nach ebd., S. 417f.
RAINER MARIA RILKE:
Die wunderbare Sättigung dieses ganz in die Sprache gelösten Lebens ist wohl nie vorher im Deutschen dagewesen, es muß die jungen Leute, die von der Natur unabhängig werden wollen, hinreißen, in Manns Büchern alles Geschaute so längst geschaut zu gewahren, so von jeher geschaut. Wann hat dieser große Künstler seine Lehrzeit gehabt? Darin übertrifft er selbst Flaubert: wenn der etwas vom Sammler hat, so ist Heinrich Mann schon wieder Ausgeber und Vergeuder – wer hat je Stücke Landschaft so glänzend gebildet, um sie dann einfach auf das treibende Blut einer Geschichte zu werfen – ja, dies ist mir das Wunderbarste, daß hier ein unendlich Bildender zugleich die Strömung schafft, die seine Dinge fortreißt von ihm
[Auszug aus einem Brief an Lou Albert-Lasard von 1907 zu Zwischen den Rassen]., zit. nach: Heinrich Mann 1871-1950. Werk und Leben in Dokumenten und Bildern. Mit unveröffentlichten Manuskripten und Briefen aus dem Nachlaß. Geleitwort von Alexander Abusch. Hg. von der Deutschen Akademie der Künste zu Berlin anläßlich der Ausstellung zu seinem 100. Geburtstag. Ausstellung und Katalog: Sigrid Anger unter Mitarbeit von Rosemarie Eggert und Gerda Weißenfels. Berlin und Weimar 1971, S. 110.
MAX LIEBERMANN:
In die damals herrschende naturalistische Dichtung brachten Sie einen neuen romantischen Klang, eine neue Schönheit, – da es Ihre Schönheit war!
Das Feuer Ihres Temperaments, das durch nichts gezügelt wird als durch Ihre Kunst, sprang auf den Leser über: daher die zündende Wirkung! Daher auch die Macht Ihrer kämpferischen Bekennerschaft!
Weil Ihnen ein Gott gab, zu sagen, was Sie leiden, sagen Sie auch, was wir leiden.
Sie sind nicht nur modern, sondern – was tausendmal mehr wert ist – Sie werden modern bleiben: nur das Menschliche in der Kunst ist das Bleibende in ihr.
Rede auf Heinrich Mann [anlässlich der Feier von Heinrich Manns 60. Geburtstag in der Preußischen Akademie der Künste zu Berlin], in: Heinrich Mann. Fünf Reden und eine Entgegnung zum 60. Geburtstag. […] Berlin 1931, S. 7f.